25. Februar 202510 minVon: Dr. Lars Hewel

KI oder K.O.?

Warum Künstliche Intelligenz der Schlüssel zum Überleben der Staffing-Branche ist

Die Staffing-Branche steht an einem entscheidenden Wendepunkt. In einer Zeit, in der wirtschaftliche Unsicherheiten und technologische Fortschritte die Spielregeln neu definieren, wird klar:

Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht nur ein weiteres Werkzeug im Arsenal der Personaldienstleister – sie ist der Schlüssel, der über die Existenzberechtigung der gesamten Branche entscheiden wird.

Unternehmen, die jetzt keinen ernsthaften Plan entwickeln, wie KI in ihrem Betrieb eingesetzt werden soll, riskieren, in den kommenden Jahren abgehängt zu werden.

KI im Recruiting: Fundamentale Transformation statt bloße Unterstützung

Das Recruiting ist einer der vielversprechendsten Anwendungsbereiche für KI in der Staffing-Branche. Derzeit wird intensiv experimentiert - was ein positiver erster Schritt ist.

Die erste Generation von (Generative)KI-Tools wird bereits in bestehende Organisationen, Prozesse und Systemlandschaften integriert. Es steht zu hoffen, dass dies zu einer spürbaren Entlastung führt.

Doch die Anwendung von KI sollte nicht nur auf graduelle Verbesserungen abzielen. Letztendlich muss sich der Einsatz von KI an den signifikanten Auswirkungen auf Produktivität, Dienstleistungsqualität und vor allem Umsatz und Ertrag messen lassen.

Die eigentliche Herausforderung liegt darin, ganze Prozesse weitgehend zu automatisieren und das gesamte Operating Model zu transformieren.

Zielsetzung sollte es sein, das Recruiting mithilfe agentenbasierter Systeme und anderer technischer Möglichkeiten wie Low-Code-Plattformen sehr umfassend zu automatisieren – von der Ansprache der Kandidaten über den Interviewprozess bis zur optimalen Vorbereitung der finalen Entscheidung.

Das Ziel ist es, durch Automatisierung und den Einsatz von KI jede Phase des Prozesses effizienter, schneller und präziser zu gestalten.

Es mag paradox klingen, aber ich bin überzeugt, dass KI den Recruitingprozess letztendlich wesentlich "menschlicher" und "wertschätzender" gestalten wird als derzeit möglich.

Ist das überhaupt möglich?

Grundsätzlich ja. Alle wesentlichen Aspekte des Rekrutierungsprozesses bis zur Einstellreife lassen sich prinzipiell automatisieren.

Funktioniert das für alle Kandidatensegmente und akzeptieren alle Kandidaten einen KI-getriebenen Prozess? Vermutlich nicht sofort.

Kann ein robuster, skalierbarer Prozess entwickelt werden? Ja, aber es ist nicht so einfach, wie es nach einigen erfolgreichen Systemprompts erscheinen mag – und Generative KI ist nicht das alleinige Mittel der Wahl.

Es gibt jedoch gute Gründe für eine optimistische Prognose:

  • Die Entwicklung von KI scheint exponentiell zu verlaufen, sodass die heutigen Herausforderungen morgen zu Kleinigkeiten werden könnten.
  • Selbst mit dem heutigen Stand könnten alle Herausforderungen mit einem gewissen Aufwand gelöst werden.
  • Die Akzeptanz unter Kunden und Kandidaten wird mit dem zunehmenden Einzug von AI in den Alltag vieler Menschen deutlich zunehmen.

Vermutlich ist das Szenario also realistischer, als wir denken. Wir sollten also beginnen, zu hinterfragen, wie gut unser Operating Model in einer Welt funktioniert, in der ein maximal skalierbares, stark arbeitsteiliges Team von überdurchschnittlich intelligenten und überaus fleißigen und zuverlässigen "Agenten" ohne Befindlichkeiten zusammenarbeitet und sich kontinuierlich selbst optimiert.

Was bedeutet das für die Staffing-Branche?

Für die Personaldienstleistungsbranche ist dies relevant, da wir mit hoher Wahrscheinlichkeit von folgenden Entwicklungen ausgehen können:

  • Eine Vielzahl neuer, rein KI-basierter Anbieter wird in den Markt eintreten
  • Eine beträchtliche Anzahl dieser Anbieter wird erfolgreich sein
  • Der relative Marktanteil der heute etablierten Anbieter wird dadurch ceteris paribus deutlich schrumpfen; diese Entwicklung ist bereits seit längerem zu beobachten, wird sich jedoch deutlich beschleunigen.
  • Spezialisierung wird auf Dauer nicht vor Verdrängung schützen, da neue Akteure "per default" stark datengetrieben sein werden und dadurch in der Lage sind, Kunden- und Kandidatenmärkte auch in Nischenbereichen hervorragend zu verstehen.

Warum ist das so wichtig?

Der Eintritt neuer Akteure wird eine bestehende Herausforderung der Branche erheblich verschärfen:

Der bei weitem überwiegende Teil der operativen Kosten in der Personaldienstleistungsbranche entfällt auf interne Personalkosten. Von diesen machen Recruiting und Vertrieb den Hauptanteil aus.

Nehmen wir vereinfacht an, dass das Recruiting etwa die Hälfte dieser Kosten ausmacht, wird deutlich, was auf dem Spiel steht. In einer Branche, in der die Margen für einfache Qualifikationen bereits auf ein Minimum geschrumpft sind und selbst hochqualifizierte Dienstleistungen zunehmend unter Druck geraten, ist die Automatisierung von Prozessen kein Luxus, sondern eine Überlebensfrage:

Dies gilt auch in Bereichen, in denen die Komplexität des regulatorischen Umfelds seit Jahrzehnten eine gewisse Barriere gegenüber dem Markteintritt neuer Akteure darstellt (z.B. Zeitarbeit), noch mehr jedoch im Bereich der Direktvermittlung. Die Automatisierung des Recruitings ermöglicht massive Kosteneinsparungen.

Diese Einsparungen sind nicht nur notwendig, um in der aktuellen wirtschaftlichen Lage profitabel zu bleiben, sondern auch, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein: Denn der Wettbewerb der nahen Zukunft hat seine Mathematik-Hausaufgaben gemacht und deshalb diese Kosten von vornherein nicht an Bord.

Die Staffing-Branche: Strukturell unter Druck

Die Staffing-Branche kämpft seit Jahren mit den gleichen Problemen:

  • Margendruck in großen Bereichen des Marktes
  • Konjunkturzyklen
  • Notwendigkeit, schnell auf Veränderungen im Markt zu reagieren

Besonders in Zeiten wirtschaftlicher Abschwünge müssen Unternehmen oft drastische Maßnahmen ergreifen, um ihre Kosten zu senken. Dies führt zu Restrukturierungen, Entlassungen und einem Verlust an Know-how.

Sobald sich die Wirtschaft erholt, beginnt der verzweifelte Versuch, schnell wieder qualifiziertes Personal zu finden – ein Kreislauf, der die Branche seit Jahrzehnten plagt.

Dieser Kreislauf ist nicht nur ineffizient, sondern auch teuer. Unternehmen müssen in Boomphasen oft hohe Summen investieren, um neues Personal zu rekrutieren und einzuarbeiten, das sie in der nächsten Krise womöglich wieder abbauen müssen.

Die Folge für die Branche ist hohe Fluktuation und kurze Verweildauer. Wie hoch ist der Grad an Spezialisierung und Qualität, den man in einem solchen Kontext im Durchschnitt erreichen kann?

Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden und Technologie ist der Schlüssel dazu!

Automatisierung: Überlebenswichtig und Zukunftschance zugleich

Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob etwa General-Staffing-Unternehmen wie bisher mit Mühe noch 1-3 % EBITDA erwirtschaften können – oder ob sie mit Hilfe von KI einen signifikanten Teil ihrer operativen Kosten automatisieren und sich somit mehr als nur Luft zum Atmen schaffen.

Dieser Schritt würde nicht nur die Profitabilität steigern, sondern das Geschäftsmodell fundamental transformieren – warum also nicht 10% statt 2% EBITDA anstreben? Again: Do the Math!

Die Qualität der Dienstleistung wird dadurch nicht schlechter – im Gegenteil. Eine durch KI optimierte und automatisierte Dienstleistung könnte oft sogar präziser, schneller und effizienter ablaufen als in der derzeitigen, auf menschlichen Personaleinsatz ruhenden Struktur.

Oft wird behauptet, dass "repetitive Aufgaben" von der KI übernommen werden können und der Mensch sich auf viel wichtigere "strategische und kreative Aufgaben" konzentrieren könne.

Bei genauerer Betrachtung sind es jedoch genau diese "repetitiven" Aufgaben, deren Automatisierung durch KI nicht nur alle Herausforderungen an die Produktivität löst, sondern auch einen massiven Zugewinn an Qualität ermöglicht:

  • Kandidaten erhalten deutlich bessere, personalisierte Angebote. Durch die Skalierbarkeit von AI kann der ursprüngliche, transaktionale Ansatz des "Placements" durch mehrwertige Angebote erweitert werden. Die Vision vom Karrierebegleiter rückt in den Bereich des Möglichen.
  • Kandidaten erhalten Feedback in Echtzeit, können den Bewerbungsprozess unabhängig von den Ressourcen auf Arbeitgeberseite durchlaufen und sind weniger Vorurteilen hinsichtlich Herkunft, Geschlecht oder Alter ausgesetzt.
  • Auch Kandidaten mit außergewöhnlichen Profilen erhalten eine faire Chance, da der Prozess mit minimalen Grenzkosten darstellbar ist.
  • Umgekehrt haben Personaldienstleister die Möglichkeit, wirklich alle in Frage kommenden Kandidaten zu evaluieren, objektiv zu vergleichen und die besten zu finden – während die verbesserte Prozessqualität zugleich der Arbeitgebermarke zugutekommt.
  • Kunden schließlich profitieren von einer beschleunigten Dienstleistung, professionelleren Artefakten (z.B. Profile, Reportings, begleitende Analyseen), einer besseren Passung. All das - und auch das ist eine absehbare Entwicklung - zu einem attraktiveren Preis.

Die Notwendigkeit einer ehrlichen Diskussion

Hier müssen wir einen Schritt zurücktreten und ehrlich über das sprechen, was KI und Automatisierung wirklich bedeuten.

Die Diskussion darf nicht in der "Comfort-Messaging"-Blase von LinkedIn oder in der internen Kommunikation vieler Unternehmen stecken bleiben, wo Veränderungen stets nur mit positiven Aspekten für alle Beteiligten dargestellt werden.

Tatsache ist: Eingesparte Kosten bedeuten oftmals auch eingesparte – menschliche – Ressourcen. Unternehmen dürfen nicht nur von den Effizienzgewinnen schwärmen und die positiven Effekte auf den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter betonen. Sie müssen sich auch und vor allem darüber im Klaren sein, welche Veränderungen dies auf der personellen Seite nach sich zieht.

  • Nicht jede Firma wird so schnell wachsen, dass alle Mitarbeiter an Bord bleiben können.
  • Nicht jeder Recruiter wird die Fähigkeiten haben oder entwickeln können, auch in einem neuen Setup wertstiftend tätig zu sein.

Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass die Automatisierung von Prozessen auch den Abbau von Arbeitsplätzen bedeuten kann.

Doch diese Diskussion muss geführt werden – offen, ehrlich und auf strategischer Ebene. Dies umso mehr, weil die Branche es, anders als in der Vergangenheit, nicht mehr schaffen wird, die Herausforderungen auszusitzen.

Anders gewendet: Wo keine Transformation, da Restrukturierung - oder das Verschwinden vom Markt, so wie dies bei zahlreichen kleinere Akteuren bereits jetzt zu beobachten ist.

Ein unvermeidlicher Wandel

Die Staffing-Branche steht vor einem unvermeidlichen Wandel. KI ist keine Option, sondern ein Muss für die Zukunft. Entscheidend wird sein, wie wir KI einsetzen – nicht nur als Tool, das bestehende Prozesse unterstützt, sondern als Katalysator, der ganze Operating Models und Prozesse grundlegend verändert.

Die Unternehmen, die diesen Wandel aktiv gestalten, werden die Gewinner der Zukunft sein und sich gegen neue Wettbewerber behaupten können. Sie werden nicht nur effizienter und profitabler arbeiten, sondern auch ihren Kunden und Kandidaten eine bessere Dienstleistung bieten können.

Diejenigen, die den Wandel ignorieren, werden mittelfristig keine Daseinsberechtigung mehr haben. Die konsequente Arbeit an einem fundamentalen Umbau der Branche und ihrer Unternehmen ist in diesem Sinne auch eine Verpflichtung von ethischer Bedeutung - gegenüber dem Unternehmen und dessen Eigentümern, aber vor allem auch gegenüber dessen Mitarbeitern.

Wann, wenn nicht jetzt?

Die Staffing-Branche kann es sich nicht leisten, den Wandel zu verschlafen. KI ist der Hebel, der die Branche in eine neue Ära führen wird.

Doch dieser Wandel muss strategisch und ehrlich gestaltet werden. Es ist an der Zeit, die Diskussion über die Zukunft der Branche offen zu führen – nicht nur in der "Comfort-Messaging"-Welt von LinkedIn, sondern in den Vorstandsetagen und auf den strategischen Ebenen der Unternehmen.

Meine Erfahrung zeigt, dass sich Menschen in operativen Jobs oft viel leichter mit Veränderungen tun, als es dem Management zugetraut wird.

Die Frage ist nicht mehr, ob KI die Staffing-Branche verändern wird, sondern wie und wie schnell. Es ist Zeit, diese Veränderung zu gestalten: "Wer jetzt kein Haus baut, baut sich keines mehr."

Gestalten Sie die Zukunft der Staffing-Branche mit

Diskutieren Sie mit uns, wie KI Ihr Geschäftsmodell transformieren kann. Umynd unterstützt Sie bei der Entwicklung und Implementierung Ihrer KI-Strategie.